Senyera


Demonstration von Befürwortern des Referendums am 11. September 2012 (Quelle: Wikipedia, Urheber: EliziR)
Demonstration von Befürwortern des Referendums am 11. September 2012 (Quelle: Wikipedia, Urheber: EliziR)

Es sieht nicht so aus, als ob die katalanische Regionalregierung ihr Ziel erreicht und die für diesen Sonntag angesetzte Volksabstimmung über die Loslösung Kataloniens von Spanien durchgeführt werden kann. Die Polizei sperrt die Wahllokale und beschlagnahmt die Urnen. Die Stimmung in Barcelona ist angespannt, und wo man unverdrossen für ein unabhängiges Katalonien demonstriert, sieht man dessen Fahne: die „Senyera“.

 

„Senyera“ ist das katalanische Wort für „Zeichen“ oder „Fahne“ und gleichzeitig der Name der katalanischen Flagge: ein neunfach waagerecht gelb und rot geteiltes Feld. Das Motiv geht auf das mittelalterliche Wappen der Grafen von Barcelona zurück, die große Teile Kataloniens beherrschten. Im 12. Jahrhundert wurde Katalonien mit Aragon vereinigt und stieg zur entscheidenden Macht der iberischen Halbinsel auf. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kam es zur Union mit Kastilien und Leon und so zur Entstehung des spanischen Königreichs. Bis zur Regierungsübernahme der Habsburger im 16. Jahrhundert dominierten auf Grund der katalanischen beziehungsweise aragonesischen Tradition Gelb und Rot in der Heraldik Spaniens. Dann traten sie ganz zurück, und erst im 19. Jahrhundert besann man sich auf die Überlieferung. José Antonio Primo de Rivera, der Führer der spanischen Faschisten – der „Falange“ - meinte sogar, daß man eigentlich die Senyera zur Fahne des spanischen Reiches machen müßte.

 

Mittelalterlichen Darstellungen ist zu entnehmen, daß die Zahl der Streifen in der Senyera ursprünglich nicht definiert war. Die Grafen von Barcelona zeigten ein mehrfach gelb-rot gestreiftes Tuch, entsprechende Schild- und Helmbemalung. Seit dem 14. Jahrhundert war allerdings die Anordnung von vier roten Streifen auf gelbem Grund die übliche. Wie bei vielen anderen Wappenbildern, gab es auch hier eine Herkunftslegende. Bekannt ist vor allem die aus dem 13. Jahrhundert stammende Geschichte des Grafen Raimon Berengar von Barcelona, der in der Schlacht tödlich verletzt seine blutige Hand mit vier Fingern über seinen goldenen Schild gezogen haben soll, wodurch das Bild der Senyera entstand. Ähnlich ist die Überlieferung, der zufolge es Karl der Kahle war, der seine Hand in die Wunden Wilfrieds, des ersten Grafen von Barcelona, legte und dann das Bild mit dessen Blut auf einem goldenen Schild hinterlassen hatte.



Glaubwürdigkeit kommt weder dem einen noch dem anderen Bericht zu. Sie gewannen allerdings mit der Entstehung des katalanischen Nationalismus im 19. Jahrhundert zunehmend an Popularität. Es entstanden verschiedene autonomistischen Bewegungen, die regelmäßig die Senyera verwendeten. Die 1931 gegründete selbständige Provinz führte sie als „Staatsflagge“ bis zum Untergang der Republik 1939. In der Zeit der Franco-Diktatur stand das Zeigen der Senyera deshalb grundsätzlich unter Verdacht, war aber nicht verboten, da es sich um ein traditionelles Symbol handelte, das eng mit der spanischen Geschichte verbunden war. Nach dem Tod Francos griff die wiederhergestellte Provinz Katalonien 1979 ohne Zögern auf die Senyera als „Nationalflagge“ zurück.

 

Das Selbstverständnis der Katalanen als „Nation“ hat allerdings immer wieder politische Gruppierungen entstehen lassen, denen die Autonomie im Rahmen des spanischen Gesamtstaates nicht genügt. In den Reihen dieser "Katalanisten" oder "Pankatalanisten" (sie wollen auch die französischen Gebiete des früheren Katalonien einbeziehen) wird seit 1908 eine Variante der Senyera gezeigt, mit einem aufgelegten blauen Dreieck zum Fahnenmast, in dem ein weißes Pentagramm steht. Der sozialistische Flügel der Gesamtbewegung zieht allerdings das Dreieck in gelb – mit rotem Pentagramm - oder rot – mit gelbem Pentagramm - vor.

 

Die Ähnlichkeit dieser „Estelada“ mit der kubanischen Flagge ist kein Zufall. Denn angesichts der Loslösung Kubas von Spanien im Jahr 1898 solidarisierten sich die Radikalen unter den katalanischen Nationalisten mit der rebellischen Kolonie, nicht mit dem Mutterland. Diese Kräfte verfochten als politisches Ziel die Sezession. 1918, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, machten sie einen Vorstoß in Richtung Selbständigkeit (unter Berufung auf Wilsons „Selbstbestimmungsrecht der Völker“), ein zweiter folgte zehn Jahre später. Die Proklamation eines sozialistischen katalanischen Staates scheiterte allerdings genauso wie der entsprechende Ansatz im Rahmen der Spanischen Republik. Daß der Wunsch nach einem souveränen Katalonien damit nicht erloschen war, zeigte sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts, nachdem die – liberalen - Nationalisten die Regionalregierung übernehmen konnten und seither mit Hilfe von Volksabstimmungen die Abtrennung von Spanien durchzusetzen suchen.

 

Die Identität von Senyera und Wappen wie Fahne der französischen Provence ist übrigens kein Zufall, sondern eine Folge der Tatsache, daß die Grafen von Barcelona zwischen 1112 und 1245 große Teile des französischen Südens beherrschten, was erklärt, warum auch hier die Autonomiebewegungen bevorzugt „Gold und Rot“ als Symbolfarben führen.