Die Entfernung des winzigen Kreuzes auf der kleinen Krone oberhalb des eigentlichen Emblems von Real Madrid hat eine erstaunlich heftige Diskussion ausgelöst. Die Begründung der Vereinsleitung, man habe lediglich auf gewisse Empfindlichkeiten in jenen Ländern des Nahen Ostens oder Nordafrikas reagiert, um dem Absatz von Merchandise-Produkten nicht zu schaden, machte die Sache nicht besser, eher schlimmer. Wieder wurde den Europäern vor Augen geführt, daß die große Säkularisierung und der entspannte Umgang mit allem, was die Religion betrifft, an ihre Grenzen stoßen.
Faktisch hatte das christliche Kreuz bereits in der Zeit vor der Konstantinischen Wende den Charakter eines nicht nur religiösen, sondern auch politischen Symbols, weil es als sichtbares Merkmal einer staatsfeindlichen Gruppe galt. Mit der Durchsetzung des Christentums kehrte sich diese Bedeutung während des 4. Jahrhunderts um und führte dazu, daß das Kreuz jetzt als Sinnbild der herrschenden Ordnung galt. Diese Funktion bewahrte es bis an die Grenze der Gegenwart. Besonders bekannte Beispiele für die daraus resultierende Doppelung von religiöser und politischer Bedeutung sind der Gebrauch von Kreuzzeichen im Zeitalter der Kreuzzüge ebenso wie deren Übernahme in die ersten europäischen Nationalflaggen (Bretagne, England, Dänemark), die Errichtung von Kreuzen in Kolonialgebieten, um einen Rechtsanspruch auf heidnisches Land zu reklamieren oder die Parteizeichen in den Kämpfen zwischen christlichen und säkularen Gruppierungen seit dem 18. Jahrhundert oder zwischen christlichen und nichtchristlichen Parteien bis in die Gegenwart.
Was den letzten Aspekt angeht, kommt Griechenland eine Vorläuferrolle zu. Dort hatten die Guerillabewegungen der armatoloi und kleftes bei ihrem Kampf gegen die Osmanenherrschaft bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Kreuzfahnen neben solchen mit der Darstellung des Drachentöters St. Georg geführt. Während des großen Aufstands von 1821 waren Abzeichen verbreitet, die ein blaues griechisches Kreuz auf weißem oder ein weißes Kreuz auf blauem Feld zeigten. Nach der Herstellung der Unabhängigkeit diente eine entsprechende Flagge als National- und Kriegsflagge. Obwohl die mittlerweile durch ein neunfach blau-weiß geteiltes Tuch ersetzt ist, in dessen Obereck man das blaue Kreuz auf Weiß verbannt hat, wird die alte Nationalflagge nach wie vor sehr häufig gezeigt. Das gilt vor allem für den griechischen Teil Zyperns, dessen Bevölkerung den latenten griechisch-türkischen Konflikt regelmäßig als einen christlich-muslimischen versteht, so daß das Kreuz als Gegensymbol zu Halbmond und Stern erscheint. Ein Grundmuster, das sich genauso in den Befreiungskriegen auf dem Balkan am Ende des 19. Jahrhunderts fand, wo Kreuzflaggen (häufig in Kombination mit den Panslawischen Farben der Schutzmacht Russland) von den christlichen Aufständischen verwendet wurden. Solche oder ähnliche symbolische Markierungen gab es auch in der Folgezeit, wenn sich religiöse und politische Konfliktlinien überschnitten. Als Beispiele können die Kämpfe während des Spanischen Bürgerkriegs genannt werden, der von Franco ausdrücklich als neuer „Kreuzzug“ bezeichnet wurde, aber auch die Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen oder arabisch-nationalistischen Milizen im Libanon oder zwischen Volksgruppen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit im Südsudan.
Die politische Dimension des Kreuzsymbols hat man in der postchristlichen westlichen Welt lange verdrängt. Wenn von den USA während des Ersten Golfkriegs verlangt wurde, die Embleme der amerikanischen Lazarettfahrzeuge mit dem Roten Kreuz zu verhängen, nahm man das ebenso achselzuckend hin wie die Forderung von militanten Atheisten oder später vermehrt von eingewanderten Muslimen, Kreuze aus allen öffentlichen Bereichen – Schulen, Krankenhäuser, Gerichte – zu entfernen. Diesbezüglich bahnt sich allerdings ein Wandel an. Der ist in Deutschland besonders klar erkennbar an der Auseinandersetzung um das öffentliche Zeigen von Kreuzen bei Anti-Islam-Demonstrationen, wo sie nicht als religiöses, sondern als Sinnbild einer abendländischen Identität dienen, und die heftige Kritik an evangelischen wie katholischen Kirchenführern, die bei einem Besuch des Tempelbergs in Jerusalem im Herbst 2016 in vorauseilendem Gehorsam ihre Amtskreuze ablegten, um keinen Anstoß bei Juden beziehungsweise Muslimen zu erregen.