Die schwarze Fahne des Islam


Ausgabe der IS-Zeitschrift mit der schwarzen Fahne auf dem Obelisk vor dem Petersdom
Ausgabe der IS-Zeitschrift mit der schwarzen Fahne auf dem Obelisk vor dem Petersdom

Seit dem Beginn des neuen Jahres gibt es in Italien eine Debatte, ob Nachrichten zutreffen, denen zu Folge über einigen Dörfern Albaniens die schwarze Fahne des Islamischen Staates (IS) weht. Die Unruhe hat nicht nur damit zu tun, daß Italien über die Adria hinweg leicht angreifbar ist, sondern hängt auch mit der Sorge zusammen, daß es eine fallweise Kooperation zwischen der albanischen Mafia vor Ort und dem IS geben könnte. Wahrscheinlich fühlt sich der eine oder andere aber auch unangenehm an jene Ausgabe der IS-Zeitschrift Dabiq erinnert, die auf dem Umschlag die Fahne des IS schon auf dem Petersplatz in Rom zeigte. Dabei gilt den Dschihadisten selbst das Zentrum der christlichen Welt nur als Etappe: „Wenn es Gott gefällt“, erklärte ein Sprecher, „lassen wir die Flagge Allahs über dem Weißen Haus wehen.“

 

Diese „Flagge Allahs“ zeigt auf schwarzem Tuch im oberen Teil einen weißen Schriftzug altertümlicher arabischer Buchstaben mit dem ersten Teil der „Schahada“, des muslimischen Glaubensbekenntnisses („Es gibt keinen anderen Gott als Allah“), und im unteren Teil einen weißen, unregelmäßigen Kreis mit schwarzem arabischen Schriftzug, der Gravur auf Mohammeds Siegel, dem zweiten Teil des Glaubensbekenntnisses („Mohammed ist der Prophet Allahs“). Seitdem der Islamische Staat seinen Vormarsch begonnen hat, ist dieses Symbol allgegenwärtig. Jedes Propagandavideo zeigt es, die Fahne steht über seinen Stellungen und Panzern. In den eroberten Ortschaften werden die Kirchen und christlichen Einrichtungen zerstört und an Stelle der Kreuze die schwarzen Fahnen gestellt. Die Sympathisanten des IS in aller Welt präsentieren sie voller Stolz, selbst wenn sie, wie in Deutschland, verboten sind.

 

Eine schwarze Fahne hat im Islam Tradition. Angeblich soll schon den Heeren Mohammeds eine weiße und eine schwarze Fahne vorangetragen worden sein. Auf der weißen stand möglicherweise „Niemand ist größer als Allah“, während man die schwarze als Kampfsymbol aus vorislamischer Zeit übernommen hatte. Die Überlieferung ist aber sehr unsicher. Mit einiger Gewißheit kann man aber sagen, daß es sich nicht nur um Feldzeichen im technischen Sinn handelte. Mohammed übertrug seine Segenskraft auf die Heerführer, indem er die Fahne an ihre Lanze band. Nach seinem Tod galt Schwarz als Farbe der Trauer über die Märtyrer des Islam, allerdings wurde sie auch zum Parteizeichen der Abbasiden. Ob dabei die Erinnerung an die ältere Flagge Mohammeds den Ausschlag gab, oder der Rachewunsch nach der Niederlage von Karbala, 680, die die Spaltung in Sunniten und Schiiten besiegelte, ist nicht mehr zu klären. Sicher ist nur, daß die schwarze Fahne der Abassiden das Gegensymbol zur weißen der feindlichen Dynastie der Omajaden war. Zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert verwendete die Abbasiden eine schwarze Fahne als Sinnbild ihrer Herrschaft; möglicherweise zeigte deren Mitte schon in weißer arabischer Schrift das muslimische Glaubensbekenntnis, umgeben von einer Schmuckform.



Nach dem Untergang der Abbasiden trat Schwarz als Farbe des Islam hinter Rot und Grün zurück. Erst der Aufstieg der panarabischen Bewegung brachte hier eine gewisse Veränderung, die das Schwarz (neben Grün, Weiß und Rot) in ihre Embleme aufnahm. Größere Eindeutigkeit ergab sich aber erst aus dem Erstarken des islamischen Fundamentalismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Angeblich soll schon die 1953 in Palästina gegründete Organisation Hizb ut Tahrir – „Partei der Befreiung“ eine schwarze Fahne mit der Schahada in Weiß benutzt haben. Ohne Zweifel verwenden aber seit den 1990er Jahren alle möglichen islamistischen Gruppen, auch tschetschenische Freischärler, die Muslimbrüder oder al-Qaida, entsprechende Abzeichen.

 

Ihnen allen gemeinsam ist ein stark eschatologischer – endzeitlicher – Zug des Denkens, der auch den ausgeprägten Fanatismus erklärt: „O Umma des Islam“, hieß es in der Botschaft des IS zum Ramadan 2014, „die Welt ist heute in zwei Lager gespalten, es gibt kein drittes: das Lager des Islam und des Glaubens und das Lager der Ungläubigen und der Heuchelei, welches gleich dem Lager der Juden, der Kreuzfahrer und ihrer Verbündeten ist“. Der Führer der „Rechtgläubigen“ in diesem apokalyptischen Kampf wird der „Kalif“ sein, der legitime Nachfolger Mohammeds, der gleichermaßen geistliche wie weltliche Macht über die „Umma“, die Gemeinschaft der Gläubigen, ausübt. Wer dieser Kalif sein soll, ist im Islam seit je umstritten.

 

Das erklärt auch, warum immer wieder messianische Führer auftreten konnten, die für sich in Anspruch nahmen, die Umma im direkten Auftrag Allahs zu einigen. In dieser Tradition steht auch der gegenwärtige Führer des IS, Ibrahim Awad Ibrahim al-Badri. Wie andere „heilige Krieger“ hat er einen neuen Namen angenommen: Abu Bakr al-Baghdadi. Während dessen letzter Teil nichts als eine Herkunftsbezeichnung ist, kann der erste bereits als programmatische Aussage gelten: Abu Bakr war der direkte Nachfolger – nichts anderes bedeutet das Wort Kalif - Mohammeds. Seit 2014 läßt sich al-Baghdadi ausdrücklich als „Kalif Ibrahim“ ansprechen. Nach den Hadithen – der frühen muslimischen Überlieferung außerhalb der Koran – sind der schwarze Turban und der schwarze Mantel, mit denen er in der Moschee von Mosul erschien, Attribute Mohammeds selbst, die schwarze Fahne das Zeichen seines Gesandten, der das Jüngste Gericht heraufführt.