Nazis in der Renaissance?

Wappen der Familie Raven an einem Fachwerkhaus in Einbeck, 16. Jahrhundert
Wappen der Familie Raven an einem Fachwerkhaus in Einbeck, 16. Jahrhundert

An einem Kamin im Wolfenbütteler Schloß findet sich das Wappen der Familie Raven mit Hakenkreuz im Schild und auf den Flügen der Helmzier. Das hat für Empörung gesorgt. Ein aus Hannover stammender, in Wolfenbüttel wohnender Anwalt sah sich veranlaßt, sein Mißfallen zu bekunden und ultimativ nach einer Erklärung zu verlangen. Die wird jetzt vom zuständigen Amt geliefert und zukünftig auf einer eigens angebrachten Plakette neben dem skandalösen Objekt befestigt.

 

Zu mehr Sachlichkeit tragen die gewundenen Erklärungen allerdings nicht bei, die in solchen Fällen regelmäßig – und jetzt auch in Wolfenbüttel – abgegeben werden. Ausnahmsweise könnte schon ein Blick in Wikipedia hilfreich sein. Stattdessen wird wieder darauf abgehoben, daß es sich bei dem Wappenbild gar nicht um ein „Hakenkreuz“, sondern um eine „Swastika“ handele. Ein Argument, das schon deshalb nicht trägt, weil zu dem Zeitpunkt, als die Figur in den Wappenschild gesetzt wurde, in Europa weder der eine noch der andere Begriff bekannt war; übrigens auch nicht das lateinische crux gammata oder das griechische gammadion (nach dem hakenartigen Buchstaben Gamma im griechischen Alphabet). „Hakenkreuz“ ist ein Kunstbegriff der akademischen Heraldik, der auf Grund von Systematisierungsbestrebungen am Ende des 18. Jahrhundert eingeführt wurde; „Swastika“ ist ein Sanskritwort und fand außerhalb der Wissenschaft erst Ende des 19. Jahrhunderts Verwendung. Sicher bezeichnen beide Begriffe dasselbe Symbol, dessen Entwicklung bis in die Jungsteinzeit zurückzuverfolgen ist. Bei seiner Wiederentdeckung war es in der westlichen Welt aber kein lebendiges Sinnbild mehr. Nur in den Randgebieten – im Baskenland, im Baltikum, vielleicht in Polen und der Ukraine – spielte es für Volkskunst und Ornamentik eine gewisse Rolle.



Sonst kam das Hakenkreuz seit der Antike nur als Beizeichen oder in Mäandern oder als Hausmarke vor. An manchen Orten – auf Irland und Gotland – gab es eine stärkere, aber sonst nur eine relativ geringe Verbreitung. Schon deshalb sind alle Versuche während der NS-Zeit gescheitert, eine echte Kontinuität nachzuweisen. Selbst einem Spezialisten auf diesem Gebiet gelang es nie, mehr als zwei Dutzend historische Wappen mit dem Hakenkreuz oder verwandten Motiven zusammenzutragen. Keines davon dürfte vor dem 16. Jahrhundert entstanden sein. Der Heraldiker Otto Hupp, der beste Kenner der Materie, reagierte jedenfalls scharf auf die Behauptung völkischer Esoteriker, es handele sich beim Hakenkreuz um das „höchstgeheiligte Geheimzeichen des Armanentums“, einer angeblichen Priesterkaste in Germanien, oder um das „Kreuz des Wuotanismus“. Die Durchsicht der wichtigen Wappenbücher zeige vielmehr, daß man das Hakenkreuz nicht „als alte heraldische Figur“ betrachten könne. Es tauche erst bei den „Papierheraldikern“ nach dem Untergang des Rittertums auf.

 

Wahrscheinlich hat gerade diese Bedeutungslosigkeit in der Symbolwelt des Abendlandes zur späteren Karriere des Hakenkreuzes beigetragen. Faszinierend war es, weil es unbekannt, archaisch und deshalb mysteriös wirkte. Ein Sachverhalt, den man heute mit der gebotenen Nüchternheit zur Kenntnis nehmen könnte. Was aber nicht geschieht, weil es nicht um Klärung und auch nicht um Moral geht, sondern darum, ein Tabu zu verteidigen.

 

Insofern ist der Vorgang in Wolfenbüttel nicht nur Provinzposse und nicht nur Einzelfall. Auch Einbeck im Süden Niedersachsens, der Herkunftsort der Patrizierfamilie Raven, muß sich mit dem Unmut derjenigen herumschlagen, die das Wappen mit dem Hakenkreuz an den Häusern seines Marktplatzes entdecken.  Vor einigen Jahren kam es zu Protesten, als die finnische Luftwaffe historische Maschinen der Zwischenkriegszeit – mit blauen Hakenkreuzen als Hoheitszeichen – über Flensburg aufsteigen ließ. In der dänischen Kleinstadt Ribe sieht sich die Verwaltung immer wieder mit kritischen Fragen von Touristen aus dem Nachbarland konfrontiert, die in Jugendstilornamenten Hakenkreuze entdeckt haben. Und bei Besuch des königlichen Schlosses auf der Isle of Wight verstört die angereisten Deutschen das handgemachte Bild einer Verwandten von Queen Victoria mit deutlich erkennbaren Hakenkreuzen zwischen Blütenblättern. Im allgemeinen reagiert das Ausland gelassen. Nur in Österreich hat der Abt von Lambach vor vier Jahren entschlossene Maßnahmen gegen „Nazi-Touristen“ ergriffen, die das schöne Kloster nur besichtigten, um einen Blick auf das Wappen seines Vorgängers Theoderich Hagn zu werfen. Das zeigt zwei gekreuzte Wolfsangeln, die wie ein Hakenkreuz wirken, und das soll der kleine Adolf Hitler angeblich als Schüler gesehen haben. Was selbstverständlich rechtfertigt, Hammer und Meißel anzusetzen und das irritierende Objekt abzuschlagen.