Viel Schwein zur Weihnacht

Postkarte, 1920er Jahre, mit einem Motiv des österreichischen Malers und Illustrators Franz Jung-Ilsenheim
Postkarte, 1920er Jahre, mit einem Motiv des österreichischen Malers und Illustrators Franz Jung-Ilsenheim

Wenn es angesichts der vielen verschiedenen Traditionen, die in unser Weihnachtsfest eingeflossen sind, etwas wie eine Kontinuität gibt, dann sicher, daß die Stärkung der Gemeinschaft und deshalb das gemeinsame Essen und Trinken eine entscheidende Rolle spielen. Zu den Speisen gehört regelmäßig Gebäck. Darunter gibt es im Norden eines, mit Safran gewürzt und goldgelb gefärbt, in S-Form gedreht, das heute noch in Schweden julgalt genannt wird. Das Wort bedeutet ins Deutsche übersetzt „Jul-Eber“. Was es damit auf sich hat, ist, wie so vieles bei alten Bräuchen, nicht mehr mit Sicherheit zu sagen. Aber der Begriff verweist doch wohl auf die in Skandinavien verbreitete Übung, während der Advents- und Weihnachtszeit Schweinskopf oder Schweinebraten zu essen, und auf jene religiösen Vorstellungen, die seit alters mit Schwein und Wildschwein verknüpft waren.

 

So berichtet die Hervararsaga, deren Ursprung im Island des 13. Jahrhunderts liegt, über ein Julfest des legendären Königs Heidrek. Der besaß einen Eber von außergewöhnlicher Schönheit. Das Tier wurde in den Saal Heidreks geführt, und seine Männer traten einzeln vor, hielten ihre Hand auf dessen Rücken und legten ein Gelübde ab in bezug auf die Tat, die sie zukünftig vollbringen wollten. Danach wurde der Eber dem Gott Freyr geopfert.

Von dem germanischen Gott Freyr ist bekannt, daß er auf einem Eber – Gullinborsti – ritt und ursprünglich wohl selbst Ebergestalt hatte. In jedem Fall stand Freyr in Verbindung mit der Fruchtbarkeit der Felder, und der julgalt wurde in Schweden noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus dem Mehl der letzten Garbe gebacken, ein Stück davon in die Brottruhe gelegt, damit sie niemals leer wurde, und ein Stück im Frühjahr im Acker vergraben, um eine reiche Ernte zu gewährleisten.

 

Manches spricht allerdings dafür, daß die Verknüpfung des Ebers mit dem Gedanken der Fruchtbarkeit sekundär war. Denn der Eber – eigentlich „Keiler“, das heißt das männliche Wildschwein – gehörte seit sehr früher Zeit zu den ausgezeichneten Symbolen der indoeuropäischen Völker und wurde vor allem der Kriegerschaft zugeordnet. Schon in den Gräbern von Mykene fand man mit Eberzähnen besetzte Helme, die wahrscheinlich denjenigen ähnlich waren, die Odysseus und später Beowulf besessen haben sollen. Der Eber diente den antiken Griechen auch als Schildzeichen, und auffällig ist die bis in die Zeit Alexanders des Großen nachgewiesene Sitte der Makedonen, einen Jungen erst dann in den Kreis der Männer aufzunehmen, wenn es ihm gelungen war, ein Wildschwein mit Netz und Speer zu töten; die Eberjagd als Kampfübung und adliges Privileg hatte bis in die Neuzeit Bestand.

 


Eine ausgesprochene „Ebersympathie“ (Georg Scheibelreiter) fand sich vor allem bei Germanen und Kelten. Dafür sprechen sowohl Stammes- (bei den Germanen die sunuci, bei den Kelten die baetasii, eburones, eburovici) als auch Individualnamen (Ebbo, Eberhard, Ebroin, Eburgrim, Eofor, Everman, zuletzt noch Sven = Schwein) oder Bezeichnungen, die das Wort Eber mit irgendeiner Art kriegerischer Bekleidung kombinierten (Eburgrim für Eberfell, außerdem Eburhelm, Everhelm, Eburroc). Der legendäre irische Kämpfer Conan wurde mit einem Eber verglichen, und der merkwürdige Beiname „Kampfzahn“ des dänischen Königs Harald verweist vielleicht auf die Hauer eines Wildschweins. Im Altnordischen konnte Eber sogar als Synonym für Krieger benutzt werden, und bezeichnenderweise hieß die keilförmige Schlachtordnung der Germanen, die sie Odin gelehrt hatte, „Eberschnauze“ oder „Keilerkopf“.

 

Bei den Germanen sind literarisch wie archäologisch Helme mit Eberfiguren nachgewiesen, berühmt sind der Helm von Benty Grange (Derbyshire) und die Darstellungen auf den Preßblechen, die man im schwedischen Torslunda fand. Wahrscheinlich gehörten solche Helme Anführern. Kelten (wie auch Römer) kannten darüber hinaus den Eber als plastisch ausgeführten Standartenaufsatz. Dementsprechend ist schon die Darstellung auf dem Triumphbogen von Orange zu werten, vor allem aber der Fund eines ausgezeichnet erhaltenen Stücks in der Nähe von Soulac-sur-Mer. Auch die Kriegstrompete der Gallier, der sogenannte carnyx, der gleichzeitig als Feldzeichen verwendet werden konnte, lief oft in einen stilisierten Eberkopf aus.

 

Bis in die mittelalterliche Literatur hinein galt der Eber als Symbol der Kampfwut. Aber wie andere wichtige germanischer und keltischer Symboltiere – vor allem Wolf und Bär –, fiel auch er nach der Christianisierung einer Umwertung zum Opfer. Das hatte ohne Zweifel damit zu tun, daß das Schwein schon aus israelitischer Sicht als unrein galt und die Hauptfeinde Israels – die Philister – nicht nur unbeschnitten waren, sondern bevorzugt Schweinefleisch verzehrten. Ganz verdrängen ließ sich das Zeichen aber nicht und behielt in der adligen Heraldik des Mittelalters einen bevorzugten Rang. Eber oder Eberkopf (auch direkt über den Helm gezogen) traten verhältnismäßig häufig als Wappenfiguren auf. Otto Höfler hat betont, daß diese mittelalterlichen „Eberwappen wirklich Sinn-Bilder, nicht `bloße Bilder´ waren“. Der ursprüngliche Bedeutungszusammenhang ging aber nach und nach verloren.

 

Das änderte sich erst mit der „Keltomanie“ des 19. Jahrhunderts, die in Frankreich zur Wiederentdeckung des Ebers als Symboltier führte. Historisierende Darstellungen der gallischen Antike zeigten seitdem regelmäßig Schmuckstücke oder Standarten mit dem Eber. Dieser Hintergrund erklärt hinreichend, warum bretonische Autonomisten, die sich auf das Erbe der Kelten berufen, aber stärker noch nationalistische Gruppen, einen Eber als Symbol verwenden. Der seit 2003 bestehende Bloc identitaire verwendet einen Eber in keltisierendem Stil als Abzeichen und auf Kleidungsstücken, Aufklebern und Plakaten. Der Bloc ist weniger eine politische als eine propagandistische Einheit, zu deren bevorzugten Zielen die Agitation gegen die Globalisierung – von rechts her – und die Popularisierung ihrer Ideen durch die Rockmusik gehört. Der demonstrative Verzehr von Schweinefleisch durch die Identitären oder der Besuch von Restaurants mit Schweinekopfmasken über den Gesichtern dienen als hoch wirksame Provokation muslimischer Einwanderer. Hinzu kamen in den vergangenen Jahren Aktionen, bei denen öffentlich Schweinswürste gegrillt oder eine mit Schweinefleisch angesetzte Suppe – die soupe identitaire - an Bedürftige verteilt oder zum Boykott sogenannter „Halal-Burger“ aufgerufen wurde, die wegen der muslimischen Speisevorschriften kein Schweinefleisch enthalten dürfen.

 

Ein Aspekt dieses Kulturkampfes ist allerdings auch, daß radikale Moslems Christen als „Schweine“ oder „Söhne von Schweinen“ beschimpfen, und für einiges Aufsehen sorgte 2010 ein französischsprachiger Rap-Clip, in dem es hieß: „Hier, wo das Schwein König ist, / Hass über die Kinder von Jeanne d’ Arc, / hoch und kurz werden wir sie aufhängen.“ Man sagt deshalb nicht zu viel, wenn man für die kommende Zeit Anerkennungskämpfe prophezeit, bei denen es auch darum geht, ob man Schwein hat, - oder nicht.