Halbmond und Stern


Sogenannte Deutsch-Türkische Flagge
Sogenannte Deutsch-Türkische Flagge

Halbmond oder Mondsichel sind – in verschiedener Anordnung – außerordentlich verbreitete politische Symbole in der islamischen Welt. Häufig werden sie sogar als Symbol des Islams aufgefaßt, obwohl es sich strenggenommen nicht um ein muslimisches, sondern um ein osmanisches beziehungsweise türkisches Symbol handelt.

 

Es spricht einiges dafür, daß die Kombination des Halbmonds mit einem Stern auf die Abwandlung eines sehr alten Motivs aus der mesopotamischen und vorderorientalischen Zeichenwelt zurückgeht. Vielleicht handelte es sich ursprünglich um die Symbole einer männlichen Sonnen- und einer weiblichen Mondgottheit. Entsprechende Embleme verbreiteten sich in der Antike im ganzen Mittelmeerraum und seit dem Mittelalter auch im übrigen Europa. Jedenfalls trat das Motiv auch mit einer gewissen Regelmäßigkeit in Wappen auf. Offenbar hat man Halbmond und Stern lange als Sinnbilder von geistlicher und weltlicher Herrschaft verstanden und entsprechend sogar auf Kirchengebäuden angebracht. Bezeichnend ist, daß noch 1519 auf dem hohen Südturm des Wiener Stefansdoms ein Halbmond mit einer achtstrahligen Sonne oder Stern befestigt wurde. Allerdings erhoben sich jetzt rasch Bedenken. Es ging schon 1529 die Behauptung um, der Halbmond sei auf Forderung des türkischen Sultans Süleyman angefertigt worden. Trotzdem blieben die Symbole noch mehr als eineinhalb Jahrhunderte an ihrem Platz. Erst 1686 – also unmittelbar nach dem Ende der großen Belagerung Wiens durch die Türken, 1683 – entfernte man sie. Kaiser Leopold I. hatte ein entsprechendes Gelübde abgelegt und ließ Halbmond und Stern durch Doppelkreuz und Doppeladler ersetzen. Auf dem demontierten Halbmond wurden die lateinische Inschrift „Dieses, Süleyman, zu deinem Gedächtnis“ sowie die Jahreszahl 1529 angebracht.

 

Auf welchem Wege Halbmond und Sonne beziehungsweise Stern von den Türken angenommen wurden, ist ungeklärt. Eine Hypothese besagt, daß sie erst bei der Eroberung von Byzanz darauf stießen, wo die Mondsichel seit dem 7. Jahrhundert vor Christus als Symbol der Stadtgöttin Diana Verwendung fand und später neben den Sternen zu den Attributen Marias gehörte, der die Stadt von Kaiser Konstantin geweiht worden war. Für diese Annahme spricht in gewisser Weise, daß der englische König Richard I. Löwenherz seinen Anspruch auf die Krone von Byzanz dadurch zum Ausdruck brachte, daß er ein persönliches Emblem verwendete, das aus Halbmond und Stern bestand. Eine andere Theorie behauptet den totemistischen Ursprung von Halbmond und Stern, die von den Türken aus dem Herrschaftszeichen des Chwaresm-Reiches in Innerasien übernommen worden sein sollen.

 

Die nach wie vor populärste Begründung für das Halbmond-Symbol findet sich allerdings in verschiedenen türkischen Legenden. Die erste besagt, daß dem Gründer des türkischen Großreichs, Sultan Osman (1288-1326), im Traum eine Mondsichel erschienen sei, die sich über den Himmel wölbte und deren Spitzen die Enden der Erde berührten, was er als Omen künftiger Weltherrschaft seiner Dynastie verstand. Eine andere Überlieferung besagt, daß Osmans Nachfolger Orhan Halbmond und Stern auf der Brust erschienen seien, und schließlich gibt es noch die Geschichte von Murad II., der nach dem Sieg über die Christen bei Kosovo (1448) in einer Blutlache einen Halbmond gesehen haben soll, der einen Stern verdeckte.

 


Mit einiger Sicherheit kann man davon ausgehen, daß von Orhan der Halbmond auf der roten Fahne der Elitetruppe der Janitscharen angebracht wurde, die Stellung einer Art Hoheitszeichen erhielt das Emblem unter Sultan Selim I., der zwischen 1512 und 1520 regierte. Mit dem Aufstieg des Osmanischen Reiches setzte die Identifizierung von türkischem Herrschaftsbereich und Islam und dem Halbmond ein. Das wurde auch von der christlichen Seite so wahrgenommen. Der Halbmond verschwindet zwar nie völlig aus der Ikonographie des Abendlandes, findet sich aber seit dem späten Mittelalter regelmäßig als Gegensymbol zum Kreuz. Und nach der erfolgreichen Abwehr der türkischen Belagerung Wiens, ließ Kaiser Leopold I. Münzen schlagen, auf denen der Doppeladler die Strahlen der Sonne auf sich zieht, während der Halbmond hinter den Wolken verschwindet.

 

Die Bedeutung des Halbmonds für die militärische Emblematik des Osmanischen Reiches blieb auch nach der Europäisierung der Armee im 19. Jahrhundert erhalten. Zahlreiche Auszeichnungen zeigten Halbmond und Stern. Seit 1793 war außerdem eine „Nationalflagge“ in Gebrauch, die schon das heutige Muster – rotes Tuch, darauf ein weißer Halbmond und ein weißer Stern – zeigte; 1844 wurde der vielstrahlige Stern durch ein Pentagramm ersetzt. Aufgrund der langen Überlieferung und allgemeinen Anerkennung kann es nicht überraschen, daß man bei Gründung des modernen türkischen Staates die alten Symbole beibehielt; die offizielle Festlegung als Hoheitszeichen erfolgte bezeichnender Weise erst 1936.

 

Auch viele der ehemals zum Osmanischen Reich gehörenden Länder, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ihre Unabhängigkeit erlangten, führten Flaggen mit Halbmond und Stern ein (Ägypten weißer Halbmond mit drei Sternen in grün; Cyrenaika, weißer Halbmond mit Stern auf Schwarz; Libyen weißer Halbmond mit Stern auf dem Mittelstreifen einer rot-schwarz-grün gestreiften Fahne; Tunesien roter Halbmond mit Stern auf weißem Kreis auf rotem Grund), und sogar außerhalb des früheren türkischen Herrschaftsbereichs (Malediven ein rotes Tuch mit aufgelegtem grünem Rechteck, darauf ein weißer Halbmond, zum Mast ein schmaler schräglinks schwarz und weiß gestreiftes Band) entstanden bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg neue Staaten, die sich mit diesem Emblem zu ihrer muslimischen Identität bekannten (Algerien eine grün-weiße Flagge, aufgelegt roter Halbmond mit Stern; Pakistan ein ¼ zu ¾ weiß und grün geteiltes Tuch, im grünen Feld weißer Halbmond und Stern; Malaysia ein elffach rot-weiß gestreiftes Tuch, im Obereck zum Mast ein blaues Feld, darauf in Gold Halbmond und Sonne).

 

Ende der sechziger Jahre schien der Halbmond dann allerdings seine Bedeutung als politisches Symbol zu verlieren. Das erklärte sich vor allem durch den Aufstieg des arabischen Nationalismus zur neuen Leitideologie im Nahen Osten. Mittlerweile hat allerdings auch der Panarabismus an Anziehungskraft eingebüßt, und mit der islamischen Renaissance und dem Zerfall der Sowjetunion ist der Halbmond unter die besonders stark verbreiteten politischen Zeichen zurückgekehrt. Das erklärt hinreichend, warum sowohl in islamisch geprägten Parteien und Bewegungen als auch in einer ganzen Reihe von Staaten mit muslimischer Bevölkerung, die aus ehemaligen Sowjetrepubliken entstanden, auf den Halbmond als Symbol ihrer religiösen und kulturellen Traditionen zurückgegriffen wurde.

 

Parallel zu dieser Entwicklung ist in der Türkei ein Wiederbelebung der osmanischen Tradition zu beobachten, die den sowieso schon ausgeprägten Flaggenstolz weiter verstärkt. In nationalistischen Gruppen wie der Milliyetçi Hareket Partisi (MHP) – der „Partei der nationalistischen Bewegung“ greift man sogar auf die Kriegsflagge des alten Imperiums mit drei weißen Halbmonden auf rotem Feld zurück. Aber im Zweifel läßt sich die regierende Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) – die „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“ von niemandem übertreffen, wenn es darum geht, Flaggenmeere zu organisieren.