Hünengrab


Steinkammer von Stöckheim, Altmark, Holzschnitt von Haye W. Hansen, wahrscheinlich aus den 1930er Jahren
Steinkammer von Stöckheim, Altmark, Holzschnitt von Haye W. Hansen, wahrscheinlich aus den 1930er Jahren

Hünengrab ist ein Wort, das sich auf die alte Vorstellung bezieht, daß ein solcher Megalithbau das Bett oder Grab eines Riesen – eines „Hünen“ – sein müsse, das in ferner Vergangenheit mit magischen Mitteln errichtet wurde. Man findet Hünengräber bevorzugt in Norddeutschland und Skandinavien, aber auch in den angrenzenden Gebieten. Erst seit dem 17. Jahrhundert hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß die Hünengräber auf Kulturen der Frühzeit zurückgehen. Eine präzise Vorstellung ihrer ursprünglichen Bedeutung fehlte aber noch. 1741 schrieb ein gelehrter Pastor aus der Altmark: „Sonst befinden sich in hiesiger Gegend … verschiedene Hügel mit Stein Kreisen besetztet. In deren Mitte man die Ueberbleibsel von Heydnischen Altären, als große übereinander gelegte Steine antrifft“. Daß das Hünengrab nur das Gerüst bildet, das ursprünglich mit Erde bedeckt war, also die Trägerkonstruktion eines sehr alten Hügelgrabs, wurde nur nach und nach erkannt.

 

Heute geht die Forschung davon aus, daß die Hünengräber auf die Jungsteinzeit zu datieren sind und vor ungefähr fünftausend Jahren entstanden. In Deutschland gibt es noch etwa 900 Hünengräber oder deren Reste. Aber man ist sicher, daß das bloß ein kleiner Teil – etwa fünfzehn Prozent – der ursprünglichen Zahl ist. Die Zerstörung hat sich bis in die jüngere Vergangenheit fortgesetzt. Noch im 19. Jahrhundert wurden viele Hünengräber abgetragen, weil sie die landwirtschaftliche Erschließung störten oder dem Straßenbau im Wege waren.

 

Gleichzeitig gab es aber ein wachsendes Interesse an den Stätten, die eine vaterländische Romantik als Monumente der Vorfahren zu sehen lernte. Kennzeichnend für diese Tendenz war, daß die Kunst das Thema aufnahm. Zwischen 1807 und 1819 schuf der Maler Caspar David Friedrich eines seiner bekanntesten Bilder, das ein Hünengrab zwischen Bäumen im Schnee zeigte. Es handelte sich dabei um die endgültige Fassung eines Themas, mit dem er sich lange beschäftigt hatte. Dabei war die von Friedrich getroffene Entscheidung kein Zufall. Sicher ging es ihm um die Verklärung der germanischen Vorzeit und die Feier eines heroischen Lebensideals: das Hünengrab als Grab eines Helden.

 

 



Diesem Gedanken entsprach auch das Konzept Ernst Moritz Arndts für ein Gefallenendenkmal auf dem Feld der Völkerschlacht bei Leipzig. Bereits 1814 entwarf er den Plan, ein Areal mit Wall und Graben zu umgeben, mit Eichen zu bepflanzen und zu „geheiligtem Land“ zu erklären. In der Mitte sollte es eine Aufschüttung von 200 Fuß Höhe geben, darauf mehrere Findlinge, über denen ein Eisernes Kreuz und auf diesem eine große goldene Kugel.

 

Friedrich wie Arndt hatten Berührung mit der „Nordischen Bewegung“, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts in allen skandinavischen Ländern zu einer Rückbesinnung auf die weit entfernte Vergangenheit führte. Das Hünengrab kam deshalb auch als Gegenstand der dänischen oder schwedischen Malerei vor und erhielt den Rang einer nationalen Ikone. In der 1819 entstandenen dänischen Hymne heißt es nicht zufällig, daß in Dänemark – in „Freyas Saal“ – einst „die harnischbewehrten Hünen“ saßen:

 

„Sie zogen aus, dem Feind zum Schaden,

nun ruhen ihre Gebeine

hinter dem Bautastein im Grabhügel.“

 

Ansonsten hat das Hünengrab nirgends eine solche Bedeutung für die nationale Symbolik erlangt wie in Deutschland. Das erklärt sich auch daraus, daß während der wilhelminischen Zeit eine Debatte über den typisch deutschen Stil in der Architektur geführt wurde und sich dabei Stimmen erhoben, die eine mehr oder weniger starke Orientierung an den Megalithbauten der Vergangenheit forderten. Umgesetzt wurde von diesen Ideen wenig. Aber die Idee, dem Denkmal für die aufständischen Dithmarscher Bauern bei Hemmingstedt (1900) die Form eines Hünengrabs zu geben, spricht für sich, genauso wie der Entschluß, Kriegerdenkmäler nach dem Ersten Weltkrieg in Gestalt von Hünengräber aufzuführen; das Ehrenmal für die Toten des 2. Pommerschen Ulanenregiments Nr. 9 (1924) in Demmin war nicht die einzige, aber ohne Zweifel die größte derartige Anlage.

 

Der Nationalsozialismus hat sich auch diese Tradition angeeignet, allerdings ohne Wirkung auf die Architektur – die eben nicht an prähistorischen oder germanischen, sondern antiken Vorbildern orientiert war - , nur in der Emblematik, etwa bei der Gestaltung neuer Orts- und Kreiswappen, spielte das Motiv eine Rolle. Heute gibt es in Deutschland immerhin noch vierundsechzig Kommunen, die ein stilisiertes Hünengrab in ihren Wappen führen, von denen die Mehrzahl während der dreißiger Jahre geschaffen worden sein dürfte.