Drudenfuß und Wotans Farben


Emblem des Deutschen Volksbundes, um 1910
Emblem des Deutschen Volksbundes, um 1910

Es ist für fast alle politischen Bewegungen typisch, daß sie sich in ihrer Anfangszeit eher unsicher zeigen, wenn es um die Wahl des richtigen Symbols geht. Das hat nicht nur mit begrenzter Phantasie zu tun, sondern auch mit der Notwendigkeit, ein gewisses Maß an Kontinuität zu wahren, – selbst wenn man behauptet, etwas Neues zu bieten -, und mit der Notwendigkeit, einen gewissen Propagandaaufwand zu treiben, um der eigenen Gefolgschaft, aber mehr noch den Außenstehenden, die man gewinnen möchte, klar zu machen, warum man dieses Zeichen und kein anderes gewählt hat.

 

Die Völkische Bewegung war diesbezüglich keine Ausnahme, sondern eher typisch. An der hier abgebildeten Propagandakarte des „Deutschen Volksbundes“ – einer eher marginalen antisemitischen Gruppierung des Kaiserreichs – kann man das deutlich sehen. Man beschränkte sich auf zwei Elemente: das Pentagramm und die Farben Schwarz-Rot-Gold. Was den Fünfstern angeht, so handelt es sich um ein Symbol, das nicht nur in der Freimaurerei der Zeit populär war, sondern auch und gerade unter denen, die sich an der deutschen beziehungsweise germanischen Vorzeit ausrichteten. In diesen Kreisen gab es ein ausgesprochenes Interesse an allen möglichen Symbolen, denen man möglichst hohes Alter zusprechen und die man als authentisch im völkischen Sinne betrachten konnte. Das Pentagramm tauchte deshalb immer wieder in völkischen Zeitschriften oder auf Postkarten auf, wurde mit anderen mehr oder weniger geheimnisvollen Sinnbildern verknüpft und als Ausdruck der eigenen Gesinnung genutzt.

 

Wer sich nun die Frage stellt, wie denn in diesen Zusammenhang die Farben Schwarz-Rot-Gold passen, muß zum Zweck der Beantwortung einen Blick auf die etwas verwickelte Geschichte der ideologischen Strömungen des 19. Jahrhunderts werfen. Bis zur Revolution von 1848 / 49 bildete die deutsche Nationalbewegung eine relative Einheit. Ihre Hauptträger waren Gruppen, die sich als gleichermaßen liberal wie patriotisch betrachteten. Schwarz-Rot-Gold waren für sie die Farben des alten Reiches, der ganzen – also auch Österreich umfassenden – Nation und Ausdruck der Forderung nach Freiheit und „Volksrechten“, wie man damals sagte. Nach dem Scheitern der Revolution wandte sich ein Teil der Liberalen von diesen Idealen ab oder paßte sie der neuen Realität an, ein anderer hielt an ihnen fest.

 

 

Deshalb war Schwarz-Rot-Gold nach der Gründung des Bismarckreiches 1871 zwar Sinnbild einer liberal-großdeutschen Opposition, aber die bildete nur noch eine fragile Einheit. In ihren Reihen kam es zu scharfen Auseinandersetzungen. Bezeichnend war der Fall Wilhelm Marrs, der im Vormärz auf dem äußersten linken Flügel der Bewegung gestanden und während der Revolution die Errichtung einer demokratischen Republik verlangt hatte. Dann wandte sich Marr je länger je schärfer gegen das liberale Establishment, weil das seiner Meinung nach ganz unter jüdischem Einfluß stand. Marr gründete 1879 die „Antisemitenliga“ und betrieb eine gleichermaßen antisemitische wie antikapitalistische Agitation. Das hieß aber nicht, daß er sich politisch nach rechts bewegt oder den Farben Schwarz-Rot-Gold abgeschworen hätte. Unter seinen Anhängern machte sich vielmehr die Vorstellung breit, daß man es hier nicht nur mit der deutschen Farbe zu tun habe, sondern auch mit dem Kampfzeichen des Antisemitismus.

 

Das erklärt, warum die sich allmählich ausbildende Völkische Bewegung dazu neigte, in der Folge nicht nur an der – falschen – Auffassung festhielt, daß man es bei Schwarz-Rot-Gold mit der ursprünglichen Reichsfahne zu tun habe. Hinzu kamen Spekulationen darüber, daß es sich um die „germanischen“ Farben der Frühzeit handelte. An der Wende vom 19. Zum 20. Jahrhundert war in völkischen Kreisen das Lied Midgard beliebt, in dem es um die "Farben Wotans" und die Vision eines pangermanischen Reiches ging:

 

„Stoßt an! Schwarz-Rot-Gold lebe!

Hurra hoch! Der die Sterne lenkt am Himmelszelt,

Der ist’s, der uns‘re Fahne hält,

Heil, Deutschland, Heil! …

Stoßt an! Midgard soll leben!

Hurra hoch! Von des Bottenmeeres höchstem Hort,

bis Donau, Zuidersee und Fjord,

Heil Midgard Heil!“

 

Der auf der Karte des Deutschen Volksbundes abgebildete Otto Boeckel war in vieler Hinsicht ein typischer Vertreter der Völkischen der wilhelminischen Zeit. Als „hessischer Bauernkönig“ agitierte er seit den 1890er Jahren „gegen Junker und Juden“ gleichermaßen. Die von ihm gegründete Deutsche Reformpartei brachte schon in ihrem Namen zum Ausdruck, daß sie gegen die bestehenden Verhältnisse auftrat, und bezeichnenderweise verließ Böckel die Organisation, nachdem es zum Zusammenschluß mit der Deutschsozialen Partei gekommen war, die den Konservativen nahestand.

 

Alle späteren Versuche Boeckels, wieder in der Politik Fuß zu fassen, scheiterten, darunter auch die Gründung des „Deutschen Volksbundes“, der die Karte drucken ließ. An der Tradition, in der er sich sah, ließ Böckel mit den von ihm gewählten Symbolen aber keinen Zweifel. Eine Entscheidung, über die die Zeit indes wie über ihn selbst als politischen Typus hinweggegangen war. In der jüngeren Generation der Völkischen hatten sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg gegen „Drudenfuß“ und Schwarz-Rot-Gold längst Thorshammer und die "arischen Farben" Blau-Gold durchgesetzt.