Der Dannebrog bis zur Eider


Aufkleber mit dem Dannebrog und dem im Obereck eingefügten Wappen Schleswigs, 2011
Aufkleber mit dem Dannebrog und dem im Obereck eingefügten Wappen Schleswigs, 2011

Die kürzlich erhobene Forderung der Dänischen Volkspartei nach Eingliederung ganz Schleswigs in die dänische Monarchie hat bei den meisten Deutschen nur Kopfschütteln ausgelöst. Eine Irredenta vor seiner Haustür erscheint dem aufgeklärten Bundesrepublikaner bestenfalls anachronistisch. Verkannt wird dabei, daß der besondere Status der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein (weniger der Status der deutschen Minderheit in Nordschleswig) eine Art latenten Unruheherd an der Grenze zu unserem nördlichen Nachbarn bildet. Das hat nicht nur mit der privilegierten Vertretung der Dänen durch den SSW im Kieler Landtag zu tun, sondern auch mit einer Symbolpolitik, die zwischen der Forderung nach kultureller Autonomie, sentimentaler Sehnsucht nach der Heimeligkeit alles Dänischen und der politischen Forderung nach „Wiedervereinigung“ Schleswigs unter dänischer Flagge schwankt.

 

Diese dänische Flagge dürfte nicht nur eines der populärsten Nationalsymbole weltweit sein – wer schon einmal in Dänemark war, weiß, daß das rote Tuch mit weißem Kreuz vor fast jedem Haus weht - , sie ist auch ein eifersüchtig gehütetes vaterländisches Gut: Ohne Genehmigung darf keine andere Nationalflagge auf dänischem Boden gehißt werden. Dieser besondere Flaggenpatriotismus hat tiefe Wurzeln, und wenigstens in der Vergangenheit lernte jeder dänische Schüler, was es mit dem Ursprung des „Dannebrog“ auf sich hatte: Er war vom Himmel gefallen, am 15. Juni 1219, in der Schlacht bei dem estnischen Ort Lyndanisse. Damals sollen die Dänen fromm Gott um Beistand angefleht haben gegen die weit überlegenen heidnischen Esten, woraufhin sich der Himmel öffnete und die Fahne herabfiel.

 

Tatsächlich sind Hinweise auf eine dänische Kreuzfahne bis zu einer Münzdarstellung des 12. Jahrhunderts zurückzuverfolgen, aber die Ursprungslegende ist erst für den Anfang des 16. Jahrhunderts nachweisbar. Zu dem Zeitpunkt war der Dannebrog vor allem zur Kennzeichnung dänischer Schiffe in Gebrauch. Wahrscheinlich ging das auf die Initiative Eriks VII. zurück, unter dessen Herrschaft die nordischen Reiche zu Beginn des 15. Jahrhunderts vereinigt worden waren (Kalmarer Union) und der die Kreuzflagge als „Banner des Reiches“ zu etablieren suchte.

 


Über die Gründe für die Gestaltung ist damit noch nichts gesagt. Aber manches spricht dafür, daß der Dannebrog auf die motivgleiche Fahne der römisch-deutschen Kaiser zurückgeht, zu deren Machtbereich der dänische Staat längere Zeit gehört hatte. Sicher ist das nicht, aber es sei am Rande erwähnt, daß sich auf Grund früherer Abhängigkeit das weiße Kreuz auf Rot wohl auch in den Fahnen oder Wappen anderer Randgebiete des alten Reiches wie etwa Savoyens und der Schweiz, aber auch der Städte Wien und Danzig findet.

 

Der Hinweis auf diesen Zusammenhang dürfte den wenigsten Dänen gefallen, müßte er ihre Flaggenbegeisterung doch wenigstens ein bißchen trüben. Zu deren wichtigsten Ursachen gehört ein königlicher Erlaß von 1854, der allen Untertanen der dänischen Krone erlaubte, den Dannebrog auf eigenem Grund zu hissen. Man könnte diese Entscheidung auch als Kompensation deuten für die peinliche Niederlage, die Dänemark kurz zuvor im Kampf gegen Preußen und Österreich erlitten hatte, wodurch der Versuch gescheitert war, ganz Schleswig dem Königreich einzuverleiben. Als Kopenhagen 1864 einen weiteren Anlauf unternahm und ihm das sonst stets wohlwollende Großbritannien nicht zu Hilfe kam, fiel Schleswig-Holstein zurück an den Deutschen Bund, nach 1866 an das Königreich Preußen, dann 1871 an das von ihm geführte Deutsche Reich.

 

Abgefunden hat sich die dänische Führung damit allerdings nicht, so wenig wie die chauvinistischen „Eiderdänen“, die eine Annexion bis zur Grenze am Fluß Eider verlangten, der die Linie zwischen Schleswig und Holstein markiert. 1920 witterten sie eine neue Möglichkeit, diese Absicht in die Tat umzusetzen. Trotz der Neutralität Dänemarks gelang es Dänemark, den Siegermächten des Ersten Weltkrieges das Zugeständnis abzuhandeln, daß in Schleswig eine Volksabstimmung über die Zugehörigkeit stattfinden sollte. Der Streit um die Herzen der Schleswiger (und vor allem der Flensburger) wurde mit aller Schärfe geführt. Dabei appellierte die dänische Seite nicht nur an alte Loyalitäten – der Dannebrog war ein regelmäßig verwendetes Motiv auf Plakaten und Flugblättern -, sondern köderte auch jenes „Speckdänentum“, das die Volkszugehörigkeit nach der in Aussicht gestellten Lebensmittelzuteilung richtete.

 

Das Ergebnis der Abstimmung war uneindeutig, und die folgende Abtrennung Nordschleswigs vom Reichsgebiet hat die Situation keineswegs beruhigt. Nach der Besetzung Dänemarks durch die Wehrmacht wurde die Regelung von 1920 wieder aufgehoben, 1945 wieder in Kraft gesetzt. Im Nachkriegseuropa mit seiner Überzeugung, daß das Zeitalter der Nationalstaaten vorbei sei, schien ein neuerlicher „Volkstumskampf“ absurd. Aber aus der Welt ist die Sache offenbar immer noch nicht, wie das Begehren der Dänischen Volkspartei beweist, die in Ermangelung anderer Probleme begehrliche Blicke auf „Sydslesvig“ richtet.