Das A im Kreis


Fahne des Comité de Milicias Antifascistas de Cataluña, 1936
Fahne des Comité de Milicias Antifascistas de Cataluña, 1936

Das A im Kreis steht nach üblicher Lesart einfach für Anarchie, anarchy, anarchie, anarchia, den Begriff, der im Griechischen „ohne Herrschaft“ bedeutet. Gelegentlich findet man den Hinweis, das Symbol beziehe sich auf Pierre-Joseph Proudhons Vorstellung von „Freiheit“ (das A) in „Ordnung“ (der Kreis). Kanonische Geltung hat diese Interpretation allerdings nie erlangt, und der Ursprung des Zeichens ist kaum noch rekonstruierbar. Lange Zeit wurde angenommen, daß es zuerst während des Spanischen Bürgerkrieg verwendet worden sei. Dafür spricht ein Foto, das einen Soldaten der republikanischen Seite zeigt, auf dessen Stahlhelm ein A im Kreis gemalt war. Indes ist die Herkunft der Abbildung nicht klar, und es existieren keine weiteren Hinweise auf eine solche Verwendung. Weitgehend unbekannt ist dagegen - auch in anarchistischen Kreisen – die Tatsache, daß das Comité de Milicias Antifascistas de Cataluña, das im Juli 1936 auf Weisung der katalonischen Generalitat gebildet wurde, eine quadratische schwarze Fahne mit rotem, eingekreisten A verwendete.

 

Das Motiv war in der spanischen Arbeiterbewegung zu dem Zeitpunkt längst bekannt, da die 1868 gegründete spanische Sektion der Ersten Internationale - Asociación Internacional de los Trabajadores -– ein A im Kreis verwendet hatte; dabei wurde das „A” wegen des starken freimaurerischen Einflusses aus einem Winkel mit Querstab und Lot gebildet. Man sollte die Bedeutung dieses Vorbildes allerdings auch nicht überschätzen, entscheidend ist, wenn, dann der Bedeutungszuwachs während des Bürgerkrieges, der im Grunde die gesamte Symbolsprache der „antifaschistischen” Linken hervorbrachte und prägte.

 

Auf sicherem Grund bewegt man sich in bezug auf die Entwicklung der anarchistischen Ikonographie eigentlich erst mit der Nachkriesgzeit. 1956 soll das A im Kreis von der belgischen „Anarchistischen Arbeiterallianz“ – Alliance Ouvrière Anarchiste und seit 1964 von der französischen „Libertären Jugend“ – Jeunesse Libertaire geführt worden sein, die es vor allem auf ihren Flugblättern verwendete. Wahrscheinlich ging die Idee, eine solche „Marke“ für die anarchistische Bewegung zu entwerfen, auf Tomás Ibañez, bezeichnenderweise einen im Exil lebenden Spanier, zurück; die Ausführung übernahm René Darras. Jedoch war die Gruppierung der Libertären so instabil wie die meisten anarchistischen Verbände und zerfiel rasch. Was wohl auch erklärt, warum das A im Kreis für die Symbolik des Pariser Mai `68 – anders als die schwarze Fahne der Anarchisten – keine Rolle spielte.


 

Die Initiative in bezug auf alles weitere ging an Italien über, wo zuerst im Dezember 1966 die Schwesterorganisation der französischen Libertären Jugend, die Mailänder Gioventù Libertaria, das Symbol übernahm und für dessen landesweite Verbreitung sorgte; im Februar 1971 erschien dann die Rivista Anarchica mit dem A im Kreis auf dem Titelblatt, im Folgejahr war es schon in anderen Ländern bekannt und trat damit seinen Siegeszug an.

 

Der außergewöhnliche Erfolg erklärt sich vor allem durch die leichte Reproduzierbarkeit und Eindrücklichkeit des Symbols. Bis heute ist es in der linken Szene, von Hausbesetzern über spontaneistische Gruppen bis zur Antifa, verbreitet und findet sich oft kombiniert mit anderen Symbolen der entsprechenden Strömungen (Pentagramm, Rot-Schwarz, Schwarz, Zwei-Fahnen-Motiv).

 

Bezeichnend ist auch, daß die Karriere des A im Kreis parallel lief zu Erfindung und Einsatz der Farbe aus Spraydosen und dem wachsenden Einfluß bestimmter jugendlicher Subkulturen, vor allem der Punkszene (die ein A bevorzugte, das über die Grenzen des Kreises hinausreichte). Damit verbunden war eine Entpolitisierung des Symbols, die erklärt, warum das A im Kreis zwar allgegenwärtig ist, an eine Wand geschmiert, als Button oder Aufnäher von jedermann benutzt oder über kommerzielle Anbieter vertrieben werden kann, aber kaum noch einen sicheren Rückschluß auf die Gesinnung des Trägers zuläßt. Bezeichnender Weise hat in Deutschland das Unternehmen ProMarkt eine Werbekampagne mit dem A im Kreis und abgewandelten anarchistischen Slogans („Alle Macht den Kunden“) plazieren können. Die Feststellung des politischen Bedeutungsverlustes gilt trotz der Renaissance des gewalttätigen Anarchismus in Griechenland während der Studentenunruhen von 2010, bei denen viele Demonstranten mit dem A im Kreis auftraten.